Trainsurfing Mauretania

Trainsurfing Mauretania

Die Morgensonne begrüßte uns schon mit ihrer vollen Leistung, als wir kurz nach 8 Uhr unsere Hütte im Camp Bab Sahara verließen. Bereits jetzt waren es 30 Grad im Schatten. Das könnte heute interessant werden, wenn die Sonne so stark scheint. Welche Temperatur wird wohl das schwarze Eisenerz haben? Das Eisenerz des „Iron Ore Train“, ein Güterzug, der von den Minen und Bergwerken in Zouerat zu den Atlantikhäfen in Nouadhibou führt und mit 250 mit Eisenerz beladenen und von 4-6 Diesellokomotiven gezogenen Waggons bei einer Länge von 2.500 m und einem Gesamtgewicht von 17.000 Tonnen der längste und schwerste Zug der Welt ist.

Genau mit diesem Zug wollten wir unsere Reise durch Mauretanien fortsetzen. Einziger Haken an der Sache: Der Zug ist ein Güterzug. Zwar wird „ab und zu“ mal ein Personenwagen angehängt, in Mauretanien ist es jedoch gängige Praxis, auf den Güterwagen mitzufahren – Ganz im Stile der amerikanischen Hobos.

Mit dem Buschtaxi sollte es also zunächst von Atar zum etwa vier Stunden entfernten Bahnhalt gehen, allerdings sollte das Buschtaxi erst am Abend fahren. Wir nutzten also die Zeit in Atar, um uns noch mit einigen Lebensmitteln und vor allem ausreichend Trinkwasser einzudecken. Nur 20 Minuten später, wir hatten gerade überlegt, den Rest des Tages bis zur Abfahrt am Abend zurück in unser Camp zu gehen, hieß es dann aber: Einsteigen, wir fahren los. In Afrika ist halt nichts so beständig wie die Veränderung.

Normalerweise sind die Buschtaxis und Minibusse in Mauretanien immer maßlos überladen. Hier wurden wir jedoch positiv überrascht. Es waren sogar noch Sitzplätze frei. Endlich mal eine angenehme Fahrt – dachten wir zumindest. Keine 20 km außerhalb von Atar stoppten wir nämlich bei einem am Straßenrand liegengebliebenen Kleinbus. Die Leute stiegen alle bei uns zu, und die Ladung wurde auf dem Dach verstaut, inklusive eines Käfigs mit einem kleinen Berberaffen. „Fürs Bergwerk“, wurde mir von einem der Mitfahrer mitgeteilt. Jetzt waren wir also doch wieder heillos überladen.

Gegen 13 Uhr waren wir dann auch schon am Bahnhalt, die Infos von den Einheimischen waren jedoch, dass der Zug erst um 21 Uhr fahren würde. Was also die 8 Stunden tun? Freundlicherweise wurden wir von einer einheimischen Familie eingeladen, unter ihrem „Freisitz“ warten zu können, solange wir bei ihnen unsere Getränke kauften. Kühle Getränke zu akzeptablen Preisen und Schatten? So können wir es sicherlich aushalten.

Gegen 14 Uhr spürte man dann das erste Mal den Boden beben, und ein unvorstellbar lautes, dumpfes Brummen war zu hören. Es fühlte sich an wie ein leichtes Erdbeben. War es aber nicht, es war der leere Eisenerzzug, der von der Küste in Richtung der Bergwerke auf der eingleisigen Strecke unterwegs war.

Als am Abend die Sonne an Stärke nachließ, machten wir uns auf den Weg an die Gleise. Zum einen wollten wir nicht am Schluss den Zug verpassen, der nur wenige Minuten stoppte, zum anderen wollten wir nicht länger bei der mauretanischen Familie bleiben. Zwar waren sie super nett, sprachen jedoch kein Wort Englisch und begriffen nicht, dass wir kein Arabisch sprachen und wollten daher immer wieder mit Smalltalk anfangen.

Kaum waren wir an den Gleisen, da zeichnete sich am Horizont schon eine deutliche Rußwolke ab; der Zug kam also doch schon. Mehr als 2 Stunden früher als uns die Einheimischen vorhergesagt haben. Oder auch nicht, denn der Zug fuhr einfach am Zughalt vorbei, keine Chance aufzusteigen oder aufzuspringen. Wir waren erst einmal ratlos, denn es wurde auch langsam dunkel.

Was also nun, sind wir nach der Aktion in Chinguetti etwa schon wieder in der Wüste gestrandet? Ein älterer Herr erklärte uns, dass „nachher“ ein weiterer Zug kommen würde, und wir uns keine Sorgen machen müssten. Doch auch dieser Zug, welcher kurz nach 22 Uhr kam, donnerte einfach an uns vorbei. Jetzt war guter Rat teuer. Wir überlegten: Wenn um 19 Uhr ein Zug gekommen ist und um 22 Uhr ein weiterer, kommt dann vielleicht um 1 Uhr nachts der nächste Zug? Unwahrscheinlich, da nur 4 Züge auf dieser Strecke pendeln, jedoch wollten wir nicht riskieren, dass wirklich noch ein Zug kommen würde und wir diesen verpassen würden.

Bestärkt in unserer Meinung wurden wir durch einen jungen Mauretanier. Er hatte einen Rucksack auf dem Rücken und setzte sich direkt neben uns in den Wüstensand. Auch er sprach nur Arabisch, aber wir waren uns sicher, er würde auch mit dem Zug fahren wollen. Der Schein trügte jedoch. Nachdem wir uns etwa zwei Stunden angeschwiegen haben, stand er auf, nickte uns zu und verschwand zu Fuß in der Dunkelheit der Nacht.

Noch während wir ihm nachschauten, entdeckten wir am Horizont helle Lichter, die sich als Scheinwerfer einer Lokomotive herausstellten. Jedoch wieder in die falsche Richtung – von der Küste ins Landesinnere.

Dieser Zug stoppte jedoch an unserem Bahnhalt und von gefühlt jedem Waggon kletterten Menschen mit Kisten und Säcken herunter. Plötzlich herrschte geschäftiges Treiben am Bahnhalt. Immer mehr Geländewagen und Eselskarren trafen ein, um die Bahnfahrer mit ihren Gepäckstücken einzusammeln.

Jetzt waren wir uns sicher, da der Bahnhalt auch eine „Zugbegegnungsstelle“ auf der sonst eingleisigen Bahnstrecke ist, würde nun auch unser Zug hier einfahren, und wir könnten endlich unsere Fahrt beginnen. Doch wieder Fehlanzeige. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Jetzt kann für die nächsten 3-4 Stunden nichts aus der Gegenrichtung kommen, denn das war der Abstand zwischen den einzelnen Zugbegegnungsstellen.

So lange wollten wir jedoch nun auch nicht mehr hier herumsitzen und warten. Das einzige „Hotel“ im Dorf hatte jedoch geschlossen, also blieb uns nichts anderes übrig, als in der Wüste zu schlafen.

Nach einer kurzen Nacht und von der Sonne geweckt, wollten wir uns nicht wieder zur Familie ins Dorf setzen. Am Bahnhalt waren jedoch auch einige Bahnbetriebsfahrzeuge und ein alter Personenwagen abgestellt, die uns für das Warten Schutz vor der sengenden Mittagshitze boten.

Da wir unsere Wasservorräte nicht schon aufbrauchen wollten, bevor wir im Zug saßen, wechselten wir uns damit ab, ins nahegelegene Dorf zu laufen und dort gekühltes Wasser zu kaufen. Der Wasserverbrauch bei denTemperaturen und der trockenen Luft war extrem.

Als ich gerade wieder im Dorf war, um eine Handvoll Wasserflaschen zu kaufen, entdeckte ich am Horizont den Zug, der auch sichtbar langsamer wurde. Er wird anhalten. Ich bin im Dorf, mein Gepäck ist auf der anderen Seite der Gleise, und so etwas wie einen Bahnübergang gibt es dort nicht. Wenn der Zug durchfährt, sind die Gleise erst einmal unpassierbar. Es war also Rennen angesagt, so schnell ich konnte, um gerade noch rechtzeitig, bevor der Zug einfuhr, zurück am Bahnhalt zu sein.

Also schnell hoch auf den Zug, schließlich sollte es ja gleich losgehen. So zumindest die Aussage, die man in fast allen Blogs liest. Doch stattdessen wurde eine Lokomotive abgekoppelt, und es wurden irgendwelche Rangierarbeiten an den abgestellten Waggons und Kesselwagen durchgeführt.

Das dauerte noch einmal über eine Stunde, während wir schon auf dem Eisenerz unter der erbarmungslos brennenden Sonne saßen. Doch als es dann endlich losging, wurde es durch den Fahrtwind schnell angenehmer.

Die Fahrt durch die Wüste war eine Mischung aus atemberaubenden Landschaften und dem Lärm, den die alten Güterwagen auf den schlechten Gleisen verursachten. Vorbei am Ben Amira, dem zweitgrößten Monolithen der Welt (der größer ist der Ayers Rock in Australien), Berber- und Touareg-Camps sowie regelmäßig neben der Strecke stehenden Kamelherden und Karawanen ging es stetig durch Wüste und Canyons in Richtung Küste. Anzumerken ist hierbei, dass die Bahn stellenweise durch „Polisario-Gebiet“, dem Gebiet der international nicht anerkannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara, führt.

Nach dem Sonnenuntergang kühlte es in der Wüste merklich ab. Das waren wir schon gewohnt. Wir schaufelten uns also eine kleine Liegefläche auf den Waggons frei und legten uns in unsere Schlafsäcke zur Ruhe.

Dass nach Einbruch der Dunkelheit ein starker Wind von der Küste über die Wüste zieht und dabei auch Sand aufgewirbelt wird, das hatten wir auch schon erlebt. Je weiter der Zug sich jedoch der Küste näherte, umso schneller wurde er, da das Gelände flacher wurde. Und so kam zu dem Fahrtwind des mittlerweile sehr schnell fahrenden Zuges noch der Gegenwind von der Küste, welcher – kaum hob man seinen Kopf aus dem Windschatten des Waggons – ein Gefühl vermittelte, als würde man sandgestrahlt. Ich kauerte in meiner Nische zwischen Bordwand und Eisenerz und hoffte nur, dass es jetzt so langsam mal zu Ende geht. Entweder mit der Zugfahrt oder mit mir, das war mir in dem Moment egal..

Irgendwann, der Zug wurde langsamer, und man konnte die Lichter einer Stadt erkennen, schauten wir auf Google Maps, und Bingo, wir waren kurz vor Nouadibou. Gleich würde der Zug halten.

Was uns etwas verunsicherte, war jedoch, wo der Zug fuhr: Die Halbinsel Ras Nouadhibou ist zweigeteilt. Die eine Hälfte, in Fahrtrichtung rechts, gehört zum Staatsgebiet der Westsahara, wird allerdings von den Polisario besetzt und soll engmaschig vermint sein. Zur linken Hand gehört die Halbinsel zu Mauretanien. Jedoch war genau dort auch ein hoher Zaun, und der Zug fuhr auf der falschen Seite des Zauns und stoppte auch dort. Was soll das jetzt schon wieder?

Letzter Halt vor dem Verladehafen. Hier müssen wir absteigen. So haben wir es in sämtlichen Blogs und YouTube-Videos gesehen. Jedoch gab es dort nirgends einen Zaun, der war offensichtlich neu. Aber hilft ja nichts. Wir müssen runter, wenn wir nicht auf dem nächsten Frachtschiff Richtung China oder Amerika als unfreiwillige, blinde Passagiere enden wollen.

Wir gingen also auf kürzestem Wege in Richtung des Zauns. Von Fuß- und Fahrspuren im Sand fühlten wir uns bestätigt, dass es hier irgendwo einen Ausgang geben müsse und auch, dass wir uns keine Sorgen vor Landminen machen mussten.

Und richtig. Als wir dem Zaun keine 200 Meter folgten, war ein mannsgroßes Loch in den Zaun geschnitten, so dass wir auf die dahinterliegende Straße kamen, wo auch gleich ein Auto, ein alter verbeulter Mercedes 190D wie sie überall in Mauretanien herumfahren, anhielt.

Das Auto war eigentlich schon voll besetzt, nein, es war schon überladen, aber für uns war noch Platz. In einen 190D passen nämlich durchaus 2 Erwachsene auf den Beifahrersitz, 4 Erwachsene und ein Kind auf die Rückbank und ein weiterer auf die Klappe des ebenfalls bis zum Bersten gefüllten Kofferraums.

In unserem Hotel angekommen, einem der wenigen 5*-Hotels in Mauretanien, wurden wir erst einmal kritisch beäugt und dann gefragt, ob wir eigene Handtücher dabei hätten. Eigene Handtücher in einem 5*-Hotel? Warum denn das? Nachdem wir verneinten und fragten warum, zeigte er auf seine schneeweißen Handtücher, schnappte sich diese und marschierte weg, um uns sichtbar ältere Handtücher zu bringen.

Ein Blick in den Spiegel klärte die Situation dann auch sehr eindeutig auf. Wir sahen beide aus, als wären wir nicht nur auf dem Zug mitgefahren, sondern hätten vorher schon in der Mine gearbeitet.

Unsere Reise durch die Wüsten von Mauretanien fand hier ihr vorläufiges Ende, doch die Erinnerungen an diese unvergessliche Fahrt werden uns noch lange begleiten

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